Wie Covid-19 den am meisten übersehenen Job der Welt ins Rampenlicht rückte.

Jun 16, 2020

Wie Covid-19 den am meisten übersehenen Job... Blog @ TeamUltim

Foto von Elena Taranenko via Unsplash

Erinnerst du dich an das erste Mal, als dich jemand gefragt hat: „Was willst du werden, wenn du groß bist?“ Wahrscheinlich warst du fünf Jahre alt – manche von euch vielleicht älter, andere jünger. Du wusstest vermutlich noch nicht einmal genau, wo links und rechts ist, aber irgendein Erwachsener sah dein süßes, schniefendes Näschen und deine großen, hoffnungsvollen Augen und entschied, dass du alt genug bist, um zu wissen, was du mit deinem Leben anfangen willst.

Wenn du eines dieser witzigen Kinder warst, hast du wahrscheinlich so etwas gesagt wie „Ich will Vampir werden“. Und wenn du so drauf warst wie ich, hast du vermutlich einfach gesagt: „Ich will gar nicht erwachsen werden.“

Unsere Eltern vermitteln uns von klein auf, dass Erfolg bedeutet, fleißig zu lernen, zu studieren und etwas „Großes“ zu werden – Arzt, Anwalt oder vielleicht sogar ein Profisportler. Doch nicht jeder kann oder will diesen Weg gehen – und was bedeutet „groß“ überhaupt?

Die Welt kann nie genug Ärzte haben, das hat uns das Jahr 2020 eindrucksvoll bewiesen. Aber die Pandemie hat auch gezeigt, dass es gerade die Berufe sind, die wir oft übersehen, die wirklich essenziell sind. Kassierer:innen, Reinigungskräfte, Lehrer:innen, Künstler:innen, Menschen, die in Apotheken oder Supermärkten arbeiten – die Jobs, die wir oft als selbstverständlich hinnehmen, sind die, die uns tatsächlich retten. Höchste Zeit also, den Fokus nicht immer nur auf die „Prestige“-Berufe zu legen, sondern auch auf die, die wir viel zu oft übersehen.

Aber was ist eigentlich der am meisten übersehene Job der Welt?

Um diese einfache, aber doch komplexe Frage zu beantworten, habe ich mit zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Bereichen gesprochen. Hier sind ihre Gedanken dazu.


Deborah Nicholson

Deborah Nicholson, Englischlehrerin an einer weiterführenden Schule in Frankreich.

Würdest du sagen, dass dein Beruf oft übersehen wird?

„Ich finde es interessant, dass du ‚oft‘ sagst, denn es ist nicht immer so. Es kommt darauf an, wo man ist. In Frankreich leben wir in einer Gesellschaft, in der alles in Zahlen ausgedrückt wird – das bedeutet, dass Jobs mit hohen Gehältern mehr Anerkennung bekommen. Und seit immer mehr Frauen in den Lehrerberuf gehen, wird er oft nur noch als Nebenverdienst gesehen. Das ist für mich ein gesellschaftliches Problem. Berufe in den Medien oder generell mit höheren Gehältern erhalten viel mehr Aufmerksamkeit.“

Hast du schon mal darüber nachgedacht, den Beruf zu wechseln, weil er so wenig geschätzt wird?

„Viele junge Menschen, die heute in den Beruf einsteigen, merken schnell, dass es nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben, und wechseln bald wieder. Ich bin seit 20 Jahren Lehrerin und gehe langsam auf die Rente zu. Viele in meiner Position zögern mit einem Wechsel, weil der Beruf Stabilität bietet. Im französischen System gibt es eine gewisse Jobsicherheit – man kann nicht einfach entlassen werden. Wenn ich etwas anderes machen würde, hätte ich möglicherweise ein niedrigeres Gehalt als jetzt.“

Glaubst du, dass Lehrer:innen oft als selbstverständlich angesehen werden?

„Ähm… ja. Und daran ist auch teilweise die Regierung schuld. Wir sind eine der am schlechtesten bezahlten Berufsgruppen in Europa. Wenn Schüler Probleme machen, werden sie einfach gegen andere ausgetauscht – für mich ist das keine Lösung. Genauso ist es mit Lehrer:innen: Wer nicht gut performt, wird einfach an eine andere Schule versetzt. Das führt dazu, dass unser Beruf oft nicht ernst genommen wird.“

Hat die Pandemie gezeigt, wie wichtig Lehrer:innen wirklich sind?

„Ja, definitiv. Eltern mussten plötzlich selbst mit ihren Kindern arbeiten und merkten, wie schwierig es ist, sie zu motivieren. Viele Eltern sehen uns eher als Babysitter – was sie nicht selbst machen wollen, überlassen sie uns. Gleichzeitig hat uns die Pandemie gezeigt, dass wir mehr digital unterrichten können. Manche Schüler brauchen ihre Lehrer:innen vor Ort, andere sind dagegen sehr selbstständig.“

Würdest du jemandem empfehlen, Lehrer:in zu werden?

„Ja – aber nur, wenn man wirklich leidenschaftlich dabei ist und nicht des Geldes wegen einsteigt. Man muss bereit sein, hart zu arbeiten. Es wird viel von uns verlangt. Aber auf eine gewisse Weise ist man sein eigener Chef – auch wenn es gleichzeitig echt herausfordernd ist.“


Damien Jedrasiak

Damien Jedrasiak, freiberuflicher Künstler und Illustrator.

Dieses Interview wurde auf Französisch geführt, die deutsche Übersetzung folgt unten.

Est-ce que vous pensez que l’art est suffisamment apprécié dans le monde du travail?

Beaucoup de personnes préfèrent faire des études de droit, médecine, etc. Je trouve que l’art n’est pas trop valorisé à l’école. Même dans le système scolaire, l’art est toujours le dernier choix…c’est clairement négligé.

Glaubst du, dass Kunst im Berufsleben genug wertgeschätzt wird?

Viele Menschen entscheiden sich lieber für ein Jurastudium oder Medizin. Kunst wird in der Schule nicht ausreichend gefördert. Sie steht immer ganz unten auf der Prioritätenliste… es wird klar vernachlässigt.

Warum wird Kunst in der Berufswelt oft nur als teures Hobby gesehen?

Menschen, die sagen, Kunst sei Zeitverschwendung, denken dabei meist an Geld. Es ist nicht so, dass sie Kunst an sich als nutzlos betrachten – sie haben einfach Angst, dass sie nicht erfolgreich werden. Deshalb versuchen sie es gar nicht erst und wählen lieber einen sicheren Beruf wie Jura oder Medizin.

Hast du schon einmal daran gedacht, den Beruf zu wechseln, weil er unterschätzt wird?

Nein, überhaupt nicht. Es liegt an uns Künstlern, unseren Beruf wertzuschätzen, nicht an der Gesellschaft. Jeden Tag lebe ich meine Leidenschaft – und genau das zählt für mich.


Also, was ist der am meisten übersehene Job der Welt? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Die Pandemie hat die Berufe ins Rampenlicht gerückt, die wir sonst oft als selbstverständlich hinnehmen.

Ob Bäcker:innen, Baristas (hast du deinen morgendlichen Kaffee auch so vermisst?), Friseur:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen oder Künstler:innen – diese Berufe prägen unseren Alltag mehr, als uns bewusst ist.

Die eigentliche Frage ist nicht „Was ist der am meisten übersehene Job?“ sondern: Wie können wir unsere Haltung gegenüber diesen Berufen verändern? Und wenn diese Krise vorbei ist – kehren wir einfach wieder zur alten Normalität zurück?

„Du kannst nur in dem wirklich erfolgreich werden, was du liebst. Mach nicht Geld zu deinem Ziel. Folge stattdessen deiner Leidenschaft – und werde so gut darin, dass niemand mehr wegsehen kann.“ — Maya Angelou


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